etoy.com

Von der Schweiz aus operierende Künstlergruppe

Die Zuschauer der in der Schweiz populären Fernsehsendung „Benissimo“ staunten nicht schlecht, als in der Livesendung am 7. Dezember 1996 ein glatzköpfiger Mann mit Sonnenbrille und einer orangefarbenen Jacke auf den Moderator zustürzte und rief: „Wo ist hier der Ausgang zum Internet?“ Es handelte sich um ein Mitglied der Künstlergruppe „etoy“ die vorgaben, die sich nach einem Auftritt in einer anderen Fernsehsendung in ein Besprechungszimmer zurückziehen zu wollen und diesen Moment für die Aktion nutzte. etoy ist seit 1995 im Internet aktiv. Die Gruppe wurde von sieben jungen Männern gegründet, die als sogenannte „etoy.agents“ unter den Pseudonymen Brainhard, Esposto, Goldstein, Gramazio, Kubli, Udatny und Zai auftreten. Außer den Tatsachen, daß sie zwischen 1971 und 1975 geboren wurden, aus unterschiedlichen europäischen Städten stammen und unterschiedlichen Berufsgruppen angehören – ein Architekt, zwei Musiker, ein Anwalt, ein PR-Mann und ein Mediendesigner – ist von ihnen nichts bekannt. Ihre wahre Identität soll „von der etoy.corporation bis zum Jahr 2032“ geheimgehalten werden. Sie erkannten den „Computer nicht nur als Hilfsmittel, sondern als primäre Arbeitsumgebung …, die unsere Lebensweise und unsere Arbeit massiv mitbestimmt“, wie in einem Interview mit der „taz“ zu erfahren war, und entwickelten die „Idee nicht einzelne Künstler in den Vordergrund zu stellen, sondern eine Firma zu gründen.“ Die „erste Streetgang auf dem Informations Highway“ tritt mit kahl rasierten Schädeln und Sonnenbrillen auf. Bekleidet sind sie gewöhnlich mit schwarzen Anzügen und orangen Jacken. Diese „Corporate Identity“ unterstreicht den Auftritt von etoy als Firma. Von Kunstsammlern können „etoy.Shares“ erworben werden und ihre Aktionen werden als „etoy.share-value“ in einer Kurve dargestellt. Hier und in der Aussage der Gruppe sie sei „ins Internet emigriert und kommt nur für Fernseh-Auftritte und Sex in die Realität zurück“, wodurch auch die Frage nach dem „Ausgang zum Internet“ Sinn erhält, wird deutlich, wie sie mit den Erscheinungen des weltumspannenden Netzes und der „New Economy“ ihr Spiel treibt. Im Internet ist die Gruppe unter anderem durch den „Digital Hijack“ – die „digitale Entführung“ – bekannt geworden. Im Mai 1996 sorgte etoy dafür, daß die ersten Suchergebnisse nach Eingabe populärer Suchbegriffe, wie Sex, Playboy. Art oder Porsche, in diversen Suchmaschinen, auf die Seite von etoy führten. Dort wurde den unfreiwilligen Besuchern, die vor ihrer „Freilassung“ erst die Web-Seite von etoy aufsuchen mußten, erklärt: „Dies ist eine digitale Entführung!“ Diese Aktion, gegen die kurzfristig sogar die Schweizer Bundespolizei ermittelte, wurde nach vier Monaten und über 600000 Zugriffen wegen Überlastung des Servers abgebrochen. 1996 war auch das Jahr, in dem der Gruppe die Goldene Nica der Ausstellung für elektronische Kunst „Ars Electronica“ verliehen wurde. Eine weitere Aktion von etoy, der „Toywar“, fand Ende 1999 weltweit Beachtung. Dabei war etoy eher zufällig in diese Aktion verwickelt worden. 1999 wurde der Spielwarenversender eToys von einem Kunden darauf hingewiesen, daß im World Wide Web eine Seite mit anstößigen Inhalten existierte, die beim nachlässigen Eingeben der Adresse des Spielwarenhändlers aufgerufen würde. Nachdem etoy es ablehnte, ihre Adresse „etoy.com“ an eToys zu verkaufen oder wenigstens in „etoy.ch“ zu ändern, wurde auf richterlichen Beschluß während einer Klage des Spielwarenhändlers die Domain „etoy.com“ abgeschaltet. Daraufhin wurde der „Toywar“ erklärt, zum Boykott der klagenden Firma aufgerufen und die Seiten von eToys durch unzählige Anfragen teilweise blockiert. Nachdem der Aktienkurs des Spielwarenhändlers rapide gefallen war, wurde die Klage zurückgezogen und der Künstlergruppe sogar Schadenersatz angeboten. Anfang 2001 geriet eToys ins Schlingern, während von der Künstlergruppe keine negativen Nachrichten bekannt sind.

Beitragsbild: Screenshot der Webseite aus dem Jahr 2000

Artnet.com

Screenshot der Webseite 2001

„Galerien-Datenspeicher“ im Internet.

Hans Neuendorf, der Vorstandsvorsitzende von Artnet.com, hat eigentlich gar keine Beziehung zu Computern. In dieser Hinsicht sei er „wie ein Autofahrer, der nicht in der Lage ist die Motorhaube zu öffnen und an der richtigen Stelle den Schraubenzieher anzusetzen“, wie er selbst sagt. Aber als er erfuhr, daß es möglich ist, farbige Bilder von einem Computer zum anderen zu übertragen, hat es bei ihm „Klick“ gemacht, denn „farbige Abbildungen beinhalten alles, was Sie über ein Bild wissen müssen, sind der Schlüssel zu allem“.
Artnet.com wurde 1989 als Centrox Corporation gegründet. Der Firmengründer Pierre Sernet war ein leidenschaftlicher Sammler japanischer Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, der sich vom Internet etwas Erleichterung bei der mühsamen Suche nach Sammlerstücken versprach, die bislang stets mit dem Wälzen dicker Auktionskataloge verbunden war. Neuendorf stieg 1990 in die Firma ein, die er später übernahm. Zunächst wurde eine Datenbank eingerichtet, welche die bei Auktionen erzielten Preise von Kunstwerken enthielt. Gegen eine Gebühr konnten interessierte Kunden über Compuserve und Infonet auf den Datenbestand zugreifen. Dadurch sollte Transparenz in den ziemlich undurchsichtigen Kunstmarkt gebracht werden. 1995 ging Artnet, wie die Firma inzwischen hieß, für das allgemeine Publikum im World Wide Web online. Hier wurde neben dieser Datenbank ein „Galerien-Datenspeicher“ (Neuendorf) eingerichtet, in dem inzwischen über 800 Galerien ausgewählte Arbeiten anbieten. Artnet sieht sich dabei als Dienstleister: Der Kunde kann sich einen Überblick über das Angebot machen. Gekauft wird direkt bei der Galerie, von der Artnet eine Gebühr für die Präsentation im Internet erhält. Die Galeristen sparen dadurch enorm viel Geld: Die Präsentation bei Artnet kostet nur 10 % dessen, was für einen gedruckten Katalog zu bezahlen wäre. Auch werden inzwischen Kunstauktionen durchgeführt, bei denen eine Provision fällig ist. Allerdings werden hauptsächlich Druckgrafiken und Lithografien umgesetzt., die naturgemäß nicht so teuer sind. Daneben gibt es das Artnet Magazine, dessen Chefredakteur Walter Robinson sich an der Boulevardpresse orientiert. Robinson, der auf amüsante und verständliche Weise schreibt, kann hier ohne kommerzielle Kompromisse arbeiten und versucht mit täglichen Berichten über Kunst und Bilder, die einer Galerie eigene Live-Atmosphäre zu verbreiten.
Hans Neuendorf wurde 1937 geboren und studierte Philosophie, bevor er sich dem Kunsthandel zuwandte. In seinen Galerien in Hamburg und Frankfurt stellte er renommierte Künstler, wie David Hockney, Andy Warhol oder Georg Baselitz aus. 1967 gehörte er zu den Mitinitiatoren der ersten Kölner Kunstmesse, aus der sich die Art Cologne entwickelte. Das nötige Kapital für Artnet besorgte er sich dadurch, daß er Freunde und Bekannte als Aktionäre gewann. Hans Neuendorf ist zuversichtlich, bald in die Gewinnzone zu kommen, er geht davon aus, daß es richtig ist das Drei bis Vierfache des Umsatzes für die Werbung auszugeben, denn „Jeder Dollar den ich heute für Werbung ausgebe, ist nächstes Jahr drei Dollar wert. … Entweder man prescht vor oder man verliert. Das ist so. Und wir preschen vor.“

Beitragsbild: Screenshot 2001

Äda`web

Kunstprojekt im World Wide Web.
Unter dieser Bezeichnung ging am 15. Mai 1995 eine Seite ins Netz, die es Künstlern ermöglichen sollte „das Netz als neues Medium zu erforschen.“, wie es einer der Gründer, der aus Paris stammende Benjamin Weil ausdrückte. Der Autor und Kurator war bereits 1991 als Gründungsmitglied an The Thing beteiligt, einem interaktiven Computernetzwerk, das sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigte. Mit Äda`web sollte eine „digitale Gießerei“ entstehen, die sich vor allem an Künstler richtete, die zwar mit der Computertechnik noch nicht vertraut waren, deren Arbeiten aber bewiesen, daß ein System wie das Internet ihre Ausdrucksmöglichkeiten erweitern könnte. Der Partner von Benajmin Weil war John Borthwick, ein damals knapp 30 Jahre alter Wirtschaftsberater. Borthwick hatte das Netz 1994 für sich entdeckt und wollte mit seiner Firma WP-Studio kreative Projekte entwickeln. Die Firma übernahm die Finanzierung des Projektes. Für den Namen des Projektes stand Ada Byron (1815 – 1852) Pate, die Tochter des englischen Dichters Lord Byron. Sie erfuhr 1834 von der Rechenmaschine, die von Charles Babagge erdacht worden war und entwickelte die Idee, daß eine solche Maschine auch Grafiken erstellen oder Musik produzieren könnte. Außerdem gilt sie als die Schöpferin des ersten Computerprogramms überhaupt, als Assistentin des Mathematikers entwarf sie unter anderem die ersten Programmpläne. Äda`web war in fünf Ebenen gegliedert, auf denen neben reinen Netzkunstarbeiten auch Werke zugänglich waren, die sowohl online als auch offline funktionierten. Ein weiterer Ansatz war es, neue Möglichkeiten der Kunstfinanzierung zu finden, denn virtuelle Kunstwerke lassen sich schwerlich verkaufen. So wurde Äda`web auch zu einem Pionier des e-commerce, denn es wurde versucht, auf der Seite auch kleine Kunstgegenstände, Videos, Bücher und Zeitschriften zu verkaufen. Dieser Ansatz kam jedoch für das Internet zu früh und blieb daher ohne Erfolg. 1998 drehte der Sponsor Digital City Studio, wie die inzwischen von AOL übernommene Firma hieß, Äda`web den Geldhahn zu. Die Web-Seiten wurden dem Walker Art Center in Minneapolis geschenkt, von wo sie noch immer aufgerufen werden können http://adaweb.walkerart.org/. Benjamin Weil sah das Ende des Projektes als Ausdruck der Ignoranz einer, nur auf die schnelle Mark fixierten Industrie, die nicht begreift, daß Projekte wie Äda`web die Entwicklung des neuen Mediums sehr wohl fördern können, indem sie neue, dem Internet gemäße Sicht- und Ausdrucksweisen entwickeln. Die Firmen müßten bereit sein, auch Prozesse zu unterstützen, von denen sie keinen unmittelbaren Nutzen zu erwarten haben. Aber auch die Künstler sollten Kompromisse eingehen und nicht jedem Sponsor puren Eigennutz unterstellen.

Beitragsbild: Ausschnitt aus einem Screenshot von 1999