The Thing

Kommunikationsforum für Künstler im Internet.

Seit 1995 ist „The Thing“ auch im World Wide Web zu erreichen, wo es Künstlern unter anderem die Möglichkeit gibt, ihre Netzkunstprojekte zu präsentieren. „The Thing“ wurde 1991 in New York als Mailbox- oder Bulletin Board-System (BBS) für den Gedankenaustausch zwischen Künstlern eingerichtet. Initiator war der 1950 in Stuttgart geborene und in Schwäbisch Hall aufgewachsene Wolfgang Stehle. Stehle hatte von 1970 – 1972 an der Freien Kunstschule Stuttgart studiert und war 1976 nach New York gegangen. Dort studierte er an der School of Visual Arts. Nachdem er zunächst als Maler tätig war, wandte er sich in den 80er Jahren der Videokunst zu. The Thing wurde gegründet, um neue Wege für den künstlerischen Diskurs zu erschließen. Das System diente zunächst dem Austausch von Nachrichten und sollte sich als „soziale Skulptur“ im Sinne des Künstlers Joseph Beuys entwickeln. Als Stehle eingeladen wurde, das Projekt 1995 auf der Kunstmesse „ars electronica“ in Linz zu präsentieren, beschloß er, damit ins World Wide Web zu gehen. Dort bietet „The Thing“ nun neben einem Ausstellungs- und Publikationsraum für Künstler auch seine Dienste als Internet-Service-Provider an. Inzwischen gibt es Knotenpunkte von „The Thing“ in Berlin, Wien, Amsterdam und anderen europäischen Städten. Die Bezeichnung für das Projekt soll dadurch entstanden sein, daß Stehles Ehefrau, die an dem System arbeitete, auf die Frage, womit sie denn beschäftigt sei, häufig antwortete, sie arbeite „an dem Ding“.

Beitragsbild: Screenshot der Webseite 2000

John F. Simon

Amerikanischer Künstler.

Für John F. Simon ist das Internet der natürliche Vertriebsweg für seine Kunst. Nur seine Arbeit „Alter Stats“ bezeichnet er als reine Netzkunst. „Alter Stats“ stellte die Zugriffsstatistik der Web-Seite grafisch dar und berücksichtigte dabei auch die aktuellen Besucher, was zur ständigen Veränderung der Grafik führte. Bekannt geworden ist Simon durch die Arbeit „Every Icon“, die er ebenfalls im World Wide Web präsentiert. Allerdings handelt es sich dabei um Konzeptkunst, denn der Computer führt das aus, was der Künstler will. „Every Icon“ besteht aus einem Raster von 32 mal 32 Quadraten, was der Auflösung der Icons des ersten Macintosh Computers entspricht. Die Quadrate können weiß oder schwarz gefüllt werden. Das Ziel dieser Arbeit ist es, alle möglichen Kombinationen, also auch alle in diesem Raster darstellbaren Bilder, zu zeigen, was allerdings einige Trillionen Jahre dauern würde. Das dazugehörige Programm kann beim Künstler für 20 Dollar gekauft werden. Simon tritt damit der Theorie entgegen, daß im Medienzeitalter schon alles gezeigt ist und keine neuen Bilder möglich sind. John F. Simon wurde 1963 in Louisiana, USA, geboren. Schon auf der High School fotografierte er, arbeitete in der Dunkelkammer und machte Siebdrucke. Er studierte Kunst, Geologie, Astronomie und machte einen Abschluß an der School of Visual Arts (SVA) in New York City. Mit dem Computer kam er erstmals in Berührung, als er auf einem Großrechner diverse Textvorlagen für Siebdrucke erstellte. Später benutzte er einen PDP-11, um Satellitenbilder vom Mars zu betrachten. John F. Simon hatte früh erkannt, daß die Computertechnik großen Einfluß auf die Fotografie und die Herstellung von Bildern ausüben würde. Er begann, die Satellitenbilder zu bearbeiten, wobei er eigene Software dazu entwickelte. Später schrieb er ein eigenes Bildbearbeitungsprogramm, um den Beschränkungen der Standardsoftware zu entgehen. Außerdem ist er Co-Autor des Programmes „Symmetry Studio“, das 1991 für den Apple Macintosh erschien. Die Programmiersprachen sieht er als Erweiterung der menschlichen Sprache, die es ihm ermöglicht, seine Ideen von einer Maschine umsetzen zu lassen, etwa wenn Stiftplotter, durch ein von ihm entwickeltes Programm gesteuert, Zeichnungen anfertigen, aber auch mit Arbeiten wie „Color Balance“. „Color Balance“ kann im Internet aufgerufen werden. Auf der Web-Seite erscheint eine stilisierte Waage, mit dessen Hilfe sich der Betrachter die Farbbalance verdeutlichen kann. Andere Werke des Künstlers bestehen aus „Apple G3 Powerbooks“, die ihres Gehäuses beraubt an die Wand gehängt werden können. Auf dem Monitor erscheinen, durch ein von Simons entwickeltes Programm gesteuert, sich ständig verändernde Bilder. John F. Simon lebt mit seiner Frau Elizabeth in New York City. Seine Freizeit verbringt er hauptsächlich bei Ausstellungseröffnungen und jeden Samstag abend geht er bowlen und trinkt Guiness in einem Pub namens „McManus“.

Beitragsbild: Screenshot der Arbeit „Every Icon“

Nicolas Pioch

Französicher Informatiker, Betreiber des Web Museum.

Das Internet ist voll mit mehr oder weniger interessanten Linksammlungen verschiedenster Art. Manche werden berühmt und machen ihre Initatoren reich, wie ßßß Yahoo, andere fristen auf irgendeinem Server ihr Schattendasein und warten auf ihre Entdeckung. Daneben gibt es Seiten, wie die des französischen Informatikers Nicolas Pioch. Von seinem „Web Museum“ aus erreicht man inzwischen Rechner mit über zehn Millionen Dokumenten. Pioch hat diese Sammlung in seiner Freizeit aufgebaut. Er hatte 1993 seinen Abschluß an der renommierten École Nationale Supérieure des Télécommunications in Paris gemacht und war dort als Informatik-Dozent tätig. Im März 1994 begann er nach Feierabend und am Wochenende mit der Einrichtung seines „Louvre“, da er meinte, daß im World Wide Web mehr Kunst präsent sein sollte. Der Name mußte wenig später aus markenrechtlichen Gründen erst in „WebLouvre“ und dann in „Web Museum“ geändert werden. Pioch präsentierte klassische Malerei und Musik sowie eine historische Tour durch Paris und hatte mit seinem Konzept Erfolg. Sein Museum fand nicht nur große Resonanz bei den Web-Surfern, die jene Seite besuchten und entsprechende Beiträge beisteuerten. Das „Web Museum“ wurde darüber hinaus im Mai 1994 mit dem „Best of Web`94 Award“ für die gelungene Kombination unterschiedlicher Medien ausgezeichnet. Ein Jahr später erhielt Pioch für seine Arbeit außerdem einen Preis der BMW-Stiftung.

Beitragsbild: Screenshot des Web-Museum 1999

Sam Lowry

Anti Dot.com Bewegung.

Am Morgen des 29. Februar 2000 klebten überall in San Francisco und Umgebung Aufkleber, auf denen Dinge wie: ToothpasteDeliveredInAnHour.com, PetShit.com oder AnythingIFoundInMyGarageForSale.com
zu lesen waren. Daneben fand sich ein, wie ein Verkehrszeichen aufgemachtes, Logo mit einem durchgestrichenen schwarzen Punkt und der Zeile: BlowTheDotOutYourAss.com. Was übersetzt heißt: „Pfeif Dir den Dot aus dem Arsch.com“. Marketingleute hielten diese Aktion für die besonders pfiffige Werbeingidee eines neuen Internet Start-ups. Das war es aber mitnichten. Wer die BlowTheDotOutYourAss.com Seite im World Wide Web aufrief, erfuhr, um was für ein Unternehmen es sich tatsächlich handelte und konnte Vorlagen für die Aufkleber herunterladen. Unter dem Pseudonym Sam Lowry, einer Figur aus dem Science Fiction Film „Brazil“ von Terry Gilliam, die aufgrund eines Tippfehlers in die Fänge einer übermächtigen Bürokratie gerät, organisierten zwei Angestellte der New-Economy diese Aktion. Die beiden wollten auf die übertriebene Euphorie um die Internet-Wirtschaft und den Niedergang von San Francisco und dem ßßß Silicon Valley hinweisen, der seit dem Boom der Firmen der New Economie, der sogenannten Dot coms, ständig voranschreitet. Die ganze Gegend ist von jungen arbeits- und vergnügungssüchtigen Leuten, mit teilweise unvorstellbar hohem Einkommen bevölkert und alles dreht sich nur noch um die New Economy. Dies treibt natürlich die Preise für Wohnraum in immense Höhen, so daß inzwischen viele Familien mit „normalem“ Beruf und Einkommen obdachlos werden. Auch die Künstler und Musiker, die San Francisco einst so belebten, wandern ab. „Jeden Tag gibt es neue Millionäre, aber es gibt auch mehr Obdachlose als je zuvor. Irgendwie ist das Bild schief“ wie es einer der Sams in einem Interview ausdrückte. Eines Tages sah er sich in seinem Büro um und fragte sich, ob unter seinen Kollegen überhaupt noch jemand sei, der einen Tisch aus Holz zimmern könne oder Lust zum Säen hätte. Der Kragen platzte den beiden, als sie eines Abends zur Party eines Start-ups gehen wollten, doch eine Horde von coolen 24-jährigen, die ebenfalls Einlaß begehrte ihnen den Weg versperrte. Sie gingen nach Hause und begannen ihre „Revolution“. Die Web-Seite brach unter dem Ansturm der Zugriffe zusammen und sie wurden mit zustimmenden E-Mails aus aller Welt überhäuft. „Wenn wir der Euphorie über die coolen Dot.coms nur ein wenig die Spitze nehmen könnten, wäre das schon ein Erfolg“ Das hat offensichtlich nicht jeder begriffen: Die Aktion wurde im September 2000 für einen Marketing-Preis nominiert.

Beitragsbild: Screenshot der Webseite

Olia Lialina

Russische Netzkünstlerin.

Der Name der Arbeit Olia Lialinas „If you want to clear your screen – scroll up and down“ ist gleichzeitig Programm: Die Web-Seite zeigt die Abbildung der Innenfläche einer geöffneten Hand, die mit Hilfe der Scrollbalken des Browsers hin und her bewegt werden kann, als würde der Monitor von innen mit einer Hand abgewischt. Die 1971 geborene Olia Lialina hatte in Moskau Journalistik studiert. Sie schrieb Filmkritiken, war als Kurator für das Moskauer Kino „Cine Fantom“ tätig (das sich der Präsentation russischer Experimentalfilme widmet) und hat selbst auch zwei Experimantalfilme gemacht. 1995 hatte sie ihren ersten Kontakt mit dem Internet als sie die Web-Seite für „Cine Fantom“ erstellte, dabei wurden auch Videosequenzen eingebunden. Lialina fragte sich, ob es nicht möglich sei, eine Bildsprache zu entwickeln, die es ermöglichte, mit den Mitteln dieses neuen Mediums Geschichten zu erzählen. Ihre erste Arbeit auf diesem Gebiet, „My Boyfriend came back from the war“, die 1996 veröffentlicht wurde, fand international Anerkennung. Der Betrachter steuert den Verlauf der Geschichte, da es an ihm liegt, welchen der angebotenen Links er anklickt, wodurch der Eindruck einer speziellen Montagetechnik entsteht. Der Bildschirm wird mit Hilfe der Frametechnik schließlich in 17 Segmente geteilt, die am Ende der Geschichte schwarz sind. Olia Lialina spielt mit den Inhalten und Techniken des Internet, wenn zum Beispiel bei „Anna Karina goes to paradise“ – einer Komödie in drei Akten und Epilog – auf schwarzweiß gehaltenen Seiten, die Web-Seiten von Suchmaschinen gezeigt werden. Sie zeigen die Ergebnisse der Suche nach den Begriffen „Love“, „Train“ und „Paradise“, deren Ergebnisse jedoch sämtlich ins Leere führen. Bei ihrer Arbeit „Anna Appears“ wird der Dialog zweier Personen mit dem Mauscursor sichtbar gemacht, indem beim Berühren der Figuren kleine Texte erscheinen und die Geschichte durch Mausklick fortgeführt wird. 1998 eröffnete die Künstlerin die „Art.Teleportica“, die erste Galerie für Netzkunst. Hier werden entsprechende Werke ausgestellt und verkauft, wobei der Käufer entscheiden kann, ob und wo das Kunstwerk künftig zu sehen sein soll. Als Echtheitszertifikat gilt dabei die originale Web-Adresse. Olia Lialina ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie lebt und arbeitet in Moskau und München, wo sie Mitglied des Medienforums ist. Die gefragte Dozentin im Bereich Netzkunst hat zur Zeit einen Lehrauftrag an der Merz-Akademie, Stuttgart.

Jaron Lanier

Amerikanischer Künstler und Computerspezialist, prägte den Begriff „Virtual Reality“.

„Wer versucht, künstliche Intelligenz zu erschaffen, landet nur bei natürlicher Dummheit.“ Dies vertraute Jaron Lanier in einem Interview dem Magazin „Der Spiegel“ an. Den überwiegenden Teil der derzeit gebräuchlichen Software bezeichnet er als ausgesprochen miserabel und unelegant. Die heutigen Computerprogramme erscheinen ihm als „gefährliche Trojanische Pferde kulturellen Einflusses.“ Das Internet sieht er hingegen als ein Stück „Lebensphilosophie“, da es den Umgang der Menschen untereinander regelt. Jaron Lanier, Jahrgang 1960, wuchs in einem kleinen Nest in New Mexico bei seinem Vater, einem Autor wissenschaftlicher Literatur, auf. Seine Mutter, eine Konzertpianistin, war früh gestorben. Der Einzelgänger träumte davon, als Musiker und Wissenschaftler zu arbeiten. Schließlich brach er die Schule ab, um sich nur noch mit Musik zu beschäftigen. Im Alter von 14 Jahren durfte er an der Universität von New Mexico Fortgeschrittenenkurse in Mathematik besuchen. Eine Ausnahmegenehmigung erlaubte es ihm sogar, selbst Kurse zu geben. Er lernte Programmieren und kam auf die Idee, mathematische Formeln und Symbole als interaktive animierte Computergrafiken darzustellen. Seine Ansätze erschienen erfolgversprechend, doch ging er zunächst nach Santa Cruz, um sich der Computermusik zu widmen. Später begann er, Musik für die Videospiele der Firma „Atari“ im ßßß Silicon Valley zu machen. Das Videospiel „Moondust“, welches er für „Atari“ entwickelte, ermöglichte es ihm an einem eigenen Projekt, einer neuen Form der Datenvisualisierung und Programmierung, zu arbeiten, das bald darauf zur Gründung des Unternehmens „VPL“ führte. „VPL“ ist die Abkürzung von „Virtual Programming Language“ und wurde von Lanier im Zusammenhang mit einem Artikel des „Scientific American“ geprägt, der über ihn und seine Arbeit berichtete. Laniers Ziel war es, ein System zu entwickeln, das die Grenzen überschreiten sollte, welche die physikalische Welt den Menschen in ihren Möglichkeiten setzt, sich auszudrücken und mit andern Personen zu kommunizieren. „VPL“ entwickelte erste Systeme, bei denen Personen in einem virtuellen Raum interagieren konnten. Dabei kamen ein Datenhandschuh, die Entwicklung von Thomas Zimmermann, einem Kollegen Laniers bei „Atari“, und ein Spezieller Helm, der über eingebaute Monitore die visuelle Orientierung in diesem künstlichen Raum ermöglichte, zum Einsatz. Zu den Kunden des Unternehmens gehörte unter anderem die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA. Anfang der 90-er Jahre geriet Laniers Firman jedoch in finanzielle Schwierigkeiten und wurde vom französischen Konzern „Thomson „aufgekauft, wobei auch alle Patente Laniers an das Unternehmen gingen. Inzwischen ist „VPL“ vom Computerhersteller SUN übernommen worden. Jaron Lanier, der in einem Haus mit Blick über die Bucht von San Francisco lebt, hat seither auch als Künstler von sich reden gemacht. Der Mann mit den langen Rastalocken, der auch als „Rasta Hobbit“ bezeichnet wird, besitzt eine Sammlung von 300 Musikinstrumenten. Er schrieb ein Ballett, führte in einem Film für den deutsch-französichen Sender ARTE Regie und komponiert moderne Kammer- und Orchestermusik, die er mit Virtual Reality Performances ergänzt, wobei zum Beispiel eine virtuelle Welt durch ein Klavier kontrolliert wird, auf dem er selbst spielt. Lanier macht Techno-Musik auf Eingeborenen-Instrumenten und rekonstruiert altägyptische Kompositionen. Auch in der Computerindustrie ist er weiterhin aktiv. Zum Beispiel engagiert er sich in der „National Tele-Immersion Initiative“, NTII, die Systeme zur Übertragung dreidimensionaler Bilder entwickelt, um so zum Beispiel die Videokonferenzen zu revolutionieren. Auch ist er in der Firma „Eyematic“ aktiv, dort werden Avatare (künstliche Gestalten auf dem Bildschirm, die den Nutzer zum Beispiel in Computerspielen verkörpern) mit realen Gesichtern versehen. Die Computertechnologie ist für Lanier jedoch kein Selbstzweck, sondern eine faszinierende Möglichkeit, um Menschen zu verbinden.

Beitragsbild: SCreenshot von Laniers Homepage 2000

Kulturbox

Berliner Internet-Projekt.

Wie im Zeitalter der virtuellen Projekte und Unternehmen mit Vergangenem üblich, ist von der Berliner „Kulturbox“ nicht mehr viel übrig. Allein auf der Web-Seite der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sind einige Projekte der „Kulturbox“ zugänglich. Die 1993 von Otto Kuhnle und Jürgen Specht als Mailbox für Kulturschaffende gegründete „Kulturbox“ ging 1994 als Präsentationsplattform für Kultur ins Netz. Das erste größere Projekt war die Präsentation der Berlinale Anfang 1995. Im Mai des selben Jahres machte das Projekt durch die exklusive Internet-Präsentation der Reichstagsverhüllung durch Cristo und Jeanne Claude von sich reden. In diesem Zusammenhang kam es auch zur Entwicklung eines Stadtinformationssystems für Berlin, das unter anderem eine Hotelbuchungsmöglichkeit, einen Stadtplandienst und einen Veranstaltungskalender bot. Ende 1995 wurde gemeinsam mit dem Soziologen Ingo Braun eine GmbH gegründet, die sich zur gefragten Beratungs- und Anlaufstelle für Internetprojekte der deutschen Hauptstadt entwickelte. Unter anderem wurden die Internetpräsenzen der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ und der Zentral- und Landesbibliothek von dem Unternehmen entwickelt. Außerdem beschäftigte sich die „Kulturbox“ mit Forschungsprojekten im Bereich der Suchmaschinentechnologie und man dachte über Vorhaben wie eine „Virtual Reality Platform“ für Museen nach.. Es wurde eine Mailinglistensuchmaschine etabliert, die immer noch unter dem Namen KBX.de exisitert, und der Stadtplandienst konnte zu einem Service ausgebaut werden, der sogar die Lokalisation von Hausnummern ermöglichte. 1998 übernahm die Firma „StadtINFO“ den Stadplandienst, und der Mailinglisten-Service ging an den Berliner Provider „Speed Link“. Die Firmengründer beschlossen, sich zukünftig anderen Aufgaben zuzuwenden und so wurde die „Kulturbox“, die zeitweise als größtes europäisches Internetprojekt galt, im April 1999 zugeklappt.

Beitragsbild: Screenshot 1997

Internationale Stadt Berlin

Deutsches Internetprojekt.

Im Jahr 1993 hatte eine Künstlergruppe, bestehend aus Barbara Aselmeier, Joachim Blank, Armin Haase, und Karl Heinz Jeron, das Netzkunstprojekt „Handshake“ verwirklicht. Da es zu dieser Zeit in Deutschland kaum Internetzugänge gab, wurde „Handshake“ als Installation präsentiert. Die Künstler bauten in Galerien und auf Ausstellungen ein „Internet-Café“ auf, über welches das Publikum Zugang zum eigentlichen Werk bekam. Als sich 1994 der Sponsor und Provider der Gruppe auflöste, beschlossen die Künstler, die Infrastruktur der Berliner Firma zu übernehmen und ein eigenes Internetprojekt zu starten. So gründete die Gruppe im Dezember 1994, gemeinsam mit drei weiteren Partnern, die „Internationale Stadt Berlin“. Die Gründungsmitglieder wollten einerseits selbst Inhalte im World Wide Web verbreiten, andererseits aber auch als Provider einen billigen Internetzugang und Speicherplatz anbieten. Der Grundgedanke war, der beginnenden Kommerzialisierung des Internet etwas entgegenzusetzen und ein selbstverwaltetes System zu schaffen, in dem die Nutzer Eigeninitiative entwickeln sollten. „Der Mensch steht als aktiver Beteiligter und nicht als Verbraucher im Zentrum. Neue zwischenmenschliche Beziehungen werden durch die Internationale Stadt initiiert und wirken auf den Alltag der realen Stadt“ heißt es zu Beginn des Projektes. Die Metapher der Stadt wurde gewählt, da dort die unterschiedlichsten Inhalte nebeneinander Platz finden, was auch für das Projekt geplant war und zu gegenseitiger Befruchtung führen sollte. Um die Eigeninitiative der Teilnehmer zu fördern, wurden neben einer übersichtlichen Startseite auch Werkzeuge, wie zum Beispiel ein online zu bedienender Html-Editor, zur Verfügung gestellt. Weiterhin war geplant, öffentliche Terminals aufzustellen, die den Zugang zum Internet auch für Menschen ohne eigenen Rechner ermöglichen sollte. Der Preis für den Internetzugang betrug für die damalige Zeit sensationelle 29 DM für einen ISDN-Anschluß. Finanziert wurde die Internationale Stadt hauptsächlich durch Arbeit der Gründer, die Dienstleistungen im Internet-Bereich anboten. Die Internationale Stadt Berlin scheiterte jedoch an der Passivität ihrer Teilnehmer „Als wir die Leute nicht mehr dazu aufgefordert haben, etwas zu machen, ist auch nichts mehr passiert“, wird der Geschäftsführer des Projektes Max Bareis zitiert. Hinzu kam, daß Teilnehmer, die interessante Inhalte entwickelt hatten, die Internationale Stadt häufig verließen, um einen eigenen Web-Server zu etablieren. Schließlich wurde das Projekt im Frühjahr 1998 eingestellt. Geblieben ist das „Individual Network Berlin“, ein Verein, der den günstigen Internetzugang für Vereine, Bildungseinrichtungen und Privatpersonen anbietet. Außerdem das „Radio Internationale Stadt“, ORANG, ein Archivsystem für Audiodateien, das von jedermann genutzt werden kann.

Noel Godin

elgischer Tortenwerfer.

Am 4. Februar 1998 ging die Meldung durch die Weltpresse, daß Bill Gates bei einem Auftritt in Belgien mit einer Torte beworfen wurde. Natürlich dachte alle Welt sofort an einen frustrierten Nutzer der Software aus dem Hause ßßß Microsoft, der sich so für Stunden der Verzweiflung rächen wollte. Doch weit gefehlt, der Urheber dieser Aktion war der anarchistische Spaßvogel Noel Godin, der noch nicht einmal einen Computer besaß. Der damals 52 Jahre alte Belgier hatte Bill Gates als Ziel dieses Attentates ausgewählt, da er „auf gewisse Weise Herr der Welt ist“ und seine Fähigkeiten den Regierungen zur Verfügung stellt, anstatt mit seiner Intelligenz an Visionen einer besseren Welt zu arbeiten. Ein Mitarbeiter von Microsoft, der Bill Gates für seine zunehmende Hochnäsigkeit gegenüber seinen Angestellten einen Denkzettel verpassen wollte, hatte Godin mit Informationen versorgt, die diese Aktion ermöglichten. So erstarrte Gates Lächeln zu einem eisigen Grinsen, als zwei Mitstreiter Godins ihm mit dem Schlachtruf „ Entarton, Entarton, le polluent pognon!“, was übersetzt etwa „Tortet, tortet , entweiht den Zaster“ heißt, jeweils eine Torte ins Gesicht drückten. Der Autor, Schauspieler und Filmhistoriker Noel Godin, der sich mit einer eignen Wortschöpfung als „Entarteur“, also „Tortenwerfer“ oder „Torter“ bezeichnet, hatte bereits 1969 mit derartigen Aktionen begonnen. Sein erstes Opfer war die Schriftstellerin Marguerite Duras als Repräsentantin des „Inhaltslosen Romans“. Im Laufe der Zeit gehörten prominente Politiker ebenso wie Schauspieler oder der französische Philosoph Bernhard-Henry Levy, der bereits fünf mal „getortet“ wurde, zu seinen Opfern. Die Liste der unsympathischen Persönlichkeiten, die einen solchen Anschlag befürchten müssen, ist lang: Sie reicht von Tony Blair über Billy Graham und John Travolta bis zum Papst. Godin und seine Freunde achten darauf, daß sie die Torten niemals werfen, sondern sie dem Opfer direkt ins Gesicht drücken, was eine 95-prozentige Trefferquote garantiert. Dabei sind sie darauf bedacht, ihr Opfer niemals zu verletzen, weshalb sie in Belgien bestenfalls mir einer geringen Geldstrafe rechnen müssen: Die beiden Bill Gates-Attentäter erhielten eine Geldstrafe von umgerechnet 150 Mark. Anders in den USA, wo Nachahmer Godins für das „Torten“ des Bürgermeisters von San Francisco, der wegen seiner harten Haltung gegenüber Obdachlosen bekannt war, eine sechsmonatige Gefängnisstrafe erhielten.

Paul Garrin

Amerikanischer Künstler, seine Firma vergibt Domain Namen.

Daß es auch im digitalen Zeitalter schwer ist, es jedermann recht zu machen, zeigt sich an Paul Garrin: Das Magazin „Economist“ bezeichnet ihn als Anarchisten und aus dem linken Lager wird er als Neoliberaler beschimpft. Dabei sollte das Anliegen Garrins, das er mit seiner Firma „NameSpace“ vertritt, für beide Seiten nützlich sein. Paul Garrin ist bereits 1996 angetreten, das System der „Top Level Domains“, also der Endungen der Web-Adressen, die als .com, .net oder. org bekannt sind, zu erweitern. Die Notwendigkeit dieses Schrittes wird allein dadurch deutlich, daß die „.com“ Adressen knapp geworden sind und auch die ICANN im Jahr 2001 zaghaft begonnen hat, neu Domains einzuführen. Paul Garrin vertritt die Ansicht, daß durch die derzeitige Praxis der Domain-Vergabe die Freiheit im Internet behindert und ein bürokratisches Kontrollsystem geschaffen wird. Auch entwickelten sich begehrte Namen durch deren Einzigartigkeit zur Ware. Dadurch würde die Kommerzialisierung des Netzes vorangetrieben und so letztendlich die Freiheit eingeschränkt. Tatsächlich haben in den Anfangszeiten des World Wide Web einige Geschäftemacher immer wieder Domains mit Namen bekannter Unternehmen, wie etwa „MTV.com“ registriert und dann versucht, sie teuer zu verkaufen. Bei NameSpace sind inzwischen Begriffe von „.art“ bis. „zone“ registriert und die aktiven Seiten reichen von „disaster.alamanac“ über „bush.sucks“ bis hin zu „motorsport.world“ und „war.zone“. Da diese Namen jedoch nicht von der ICANN autorisiert sind, müssen Nutzer, die diese Seiten erreichen wollen, die Konfiguration ihres Internet-Zugangs ändern. Sie müssen in ihrem System einen Name-Server (einen Rechner im Internet, der die Anfragen der Nutzer weiterleitet) von „NameSpace“ eintragen. Die Idee zu „NameSpace“ soll während des Treffens „Next 5 Minutes“ im Januar 1996 entstanden sein. Dort diskutierten Medienkünstler über die politische Dimension der Medien und ihre selbstbestimmte Nutzung. „NameSpace“ wurde Ende 1996 gegründet, als die Firma „Network Solutions“, der damals die Vergabe der Domains oblag, den Preis für die Registrierung, die anfänglich kostenlos gewesen war, auf 100 Dollar erhöhen wollte. Dies war nicht das erste Internet-Projekt von Paul Garrin.Der 1957 geborenen Künstler. Bereits 1994 hatte mit „Fluxus online“ eine Web-Seite mit künstlerischem Inhalt veröffentlicht. Die politische Dimension deckte er mit „mediafilter.org“ ab. Die Seite, die im selben Jahr online ging, enthält Links zu Angeboten mit kritischen Inhalten. Außerhalb des Internet ist Paul Garrin als Videokünstler bekannt. Er studierte an der „Pennsylvania Academie of Fine Arts“ und an der „Cooper Union School of Arts“ wo er auch mit Video zu arbeiten begann. Garrin realisierte Installationen für den Video-Künstler Nam Jun Paik und tritt seit Ende der 80-er Jahre auch mit eigenen Arbeiten hervor, in denen er Sozialkritik übt und die Wirkung von Gewalt, Drogen und Geschwindigkeit auf die Gesellschaft zu Thema macht. Aufmerksamkeit erregte er 1988 mit dem Video „Tompkin Square Riot“, in dem er das brutale Vorgehen der Polizei gegen Bürger dokumentierte, die gegen die Vertreibung von Obdachlosen aus einem Park demonstriert hatten. Bei seiner Installation „Yuppie Ghetto with Watchdog“ wurden Szenen einer Yuppie Party auf eine Wand projiziert, die mit einem Gitter gesichert war. Gegenüber war ein Monitor angebracht, auf dem ein Video eines Wachhundes auf die Besucher als Störer der Veranstaltung reagierte. Garrin wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, 1992 bekam er den „Siemens Preis“ und 1997 erhielt seine „Border Patrol“ auf der „Ars Electronica“ eine Auszeichnung. Garrins Firma „NameSpace“ trifft hingegen jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung: Während künstlerisch interessierte, aber technisch wenig beschlagene Nutzer dem Projekt positiv gegenüberstehen, sind technisch versierte Kreise eher skeptisch. Man nimmt es ihm übel, daß er seine Entscheidungen allein trifft und nicht die gesamte Netzgemeinde mit einbezieht. Auch daß er für die Registrierung und Verwaltung seiner mittlerweile über 500 Domains eine jährliche Gebühr von 30 Dollar erhebt, ist nicht nach jedermanns Geschmack. Obwohl er beteuert, daß er keinen Gewinn erzielen, sondern Projekte fördern möchte, welche das Ziel verfolgen, selbstbestimmte Medien als Freiräume zu erhalten.

Beitragsbild: Screenshot von Garrnins projekt „Fluxus online“